Da Corona uns momentan nicht reisen lässt, möchten wir nicht auf spannende Reiseberichte verzichten. Und dieser Reisebericht hat es in sich: eine aufregende, emotionale und faszinierende Reise wie unser Sohn Lino bei uns zu Hause auf dieser Welt ankommt.
Doch fangen wir von vorne an. Plötzlich schmeckte mir der Rotwein nicht mehr, ich war überdurchschnittlich müde und meine Periode überfällig. Eigentlich war es klar, aber der Schwangerschaftstest brachte uns dann kurz vor Silvester 2020 Gewissheit. Es ist soweit, wir gründen eine Familie.

Was für ein überwältigendes Gefühl. Mit dem Wissen der Schwangerschaft begann natürlich auch die Zeit der sämtlichen Überlegungen. Einen Rat bekam ich von einigen Müttern: sobald du schwanger bist kümmere dich um einen Kitaplatz und um eine Hebamme. Beides ist rar. Eine Freundin inspirierte mich mit ihrer geplanten Hausgeburt und geteilter Vorsorgeuntersuchungen (Gynäkologe und Hebamme im Wechsel) mich in das Thema einzulesen. Und nach einigen Berichten und Statistiken fand ich die Vorstellung unser Kind in den eigenen vier Wänden auf die Welt zu bringen total schön und zu uns passend. Roman war sofort von der Idee begeistert, da er eh kein sonderlich großer Fan von Krankenhäusern und Fremdbestimmung ist. Ich recherchierte also Hebammen in unserer Region, die Hausgeburten durchführen, und fand genau eine – die wunderbare Nicole. Also rief ich sie an und wie das Glück auf unserer Seite war, hatte sie noch Kapazität frei für den September – unserem Geburtsmonat. Wir lernten uns kennen und somit war ich noch nicht mal in der 10. Schwangerschaftswoche und hatte bereits eine Hausgeburtshebamme. Irgendwie schon ganz schön früh.
Eine Hausgeburt? “Ihr seid aber mutig” oder aber auch “Ach ja, das passt zu euch”. Manche Kommentare wollte ich hören, manche haben mich nur wieder verunsichert. Die Geburt war zu diesem Zeitpunkt noch so weit weg, dass ich ehrlich gesagt auch noch nicht zu 100% spüren konnte ob die Hausgeburt das Richtige für mich ist. Was ist, wenn es doch zu einem Zwischenfall kommt? Eine Geburt ohne Ärzte und Medikamente? Ist denn das sicher? Viele dieser Fragen haben mich beschäftigt und mich hin und her schwanken lassen. Zum Glück war Nicole total verständnisvoll und sagte zu Beginn, dass ich mich final erst kurz vor der Geburt entscheiden kann. Wir haben noch Zeit. Das gab mir Luft mich von dem Thema wieder zu distanzieren, mich erstmal auf meine Übelkeit und Müdigkeit zu konzentrieren und das Vertrauen zu haben, dass ich meinen Weg irgendwann spüre.

Und so war es dann tatsächlich auch. Ich befasste mich während der Schwangerschaft mit positiven Geburtsgeschichten, las Bücher, meditierte, machte jeden Tag Yoga und hörte einige hilfreiche Podcasts an. Durch dieses bewusste Auseinandersetzen mit der Geburt wurde auch das Gefühl immer stärker, dass eine Hausgeburt genau das Richtige für uns ist. Und ich habe nicht mehr an der Sicherheit gezweifelt. Denn ich verstand, dass eine Geburt etwas extrem intimes ist, wo sich die Frau bestmöglichst zurückziehen und ganz ruhig und intuitiv ihren Körper arbeiten lassen kann. Eine eins zu eins Betreuung einer vertrauten Hebamme, meinen Rückzugsort, meine Ruhe und Roman. Das war für mich Sicherheit.
Klar, unser Vorhaben war eine absolute Ausnahme, denn erstaunlicherweise werden nur 2% (im Jahr 2020 14’000 von 760`000 Geburten) der Babys in Deutschland außerklinisch (zu Hause oder in einem Geburtshaus) geboren. Obwohl Hausgeburten und Geburten im Geburtshaus laut der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. nicht weniger sicher sind als Krankenhausgeburten. Wer möchte kann gerne bezüglich der aktuellen Zahlen in dieser Broschüre stöbern.
Zu Hause. Ok, das bedeutet doch aber ganz schön viel Aufwand, oder? Geht so. In null Komma nichts waren wir vorbereitet, das Ereignis zu uns nach Hause zu holen. Der Pool war aufgeblasen, Tücher auf dem Boden verteilt, Checklisten lagen bereit, und das Sofa wurde mit Malerplane abgedeckt. Ein kleiner Altar mit Geburtskerze, Duftschale und Snacks, sowie eine Playlist mit Entspannungsmusik machte unseren Geburtsraum zu unserer Oase.


Und so kam der Tag der Tage. In der Nacht von Sonntag auf Montag (3 Tage vor dem errechneten Termin) erwachte ich um 3 Uhr Nachts und döste vor mich hin, bis ich merkte, wie meine Fruchtblase abging. Ich ging auf die Toilette und sagte im Halbschlaf zu Roman, “Ich glaub es geht los. Aber lass uns noch ein wenig schlafen und Energie tanken”. Irgendwie war ich tiefenentspannt, aber vielleicht war es auch die Müdigkeit (wer mich kennt weiss, dass ich Nachts nicht so gut funktioniere ;). Wir dösten so gut es ging bis 8 Uhr und Roman gab im Geschäft bescheid, dass er besser zu Hause bleibt. Ich machte mir Früchte zum Frühstück, informierte unsere Hebamme Nicole das noch alles ruhig ist und schnitt mir noch seelenruhig die Nägel. Leichte Unterleibsschmerzen begannen – sind das nun Wehen, fragte ich mich. Ach das ist ja alles halb so wild, dann kann ich ja noch eine Blumenkohlsuppe kochen. Um 9 Uhr gingen mir diese Gedanken durch den Kopf. Eine Stunde später kniete ich vor dem Sofa und bat Roman Nicole erneut anzurufen, ich glaub jetzt geht es richtig los.
Ich merkte ziemlich plötzlich, dass die Blumenkohlsuppe wohl warten muss und ich mich voll und ganz auf jede Wehe konzentrieren musste. Tief ein und so langsam wie es geht wieder ausatmen. Ich bin bereit, ich öffne mich, ich entspanne mich, waren meine Gedanken-Mantras bei jeder Atmung. Und so verbrachten Roman und ich den Tag gemeinsam – auf dem Sofa, gebeugt über dem Pezziball, stehend in der Küche, kotzend über dem Eimer. Er war mein Fels in der Brandung, stets an meiner Seite und mir die Hand haltend wenn wieder eine Welle über mich fuhr. Draußen schien die Sonne, der Postboote fuhr vorbei, doch ich war eingetaucht in eine andere Welt, habe Raum und Zeit verloren und war völlig bei mir und meinem Körper.
Unsere in der Zwischenzeit eingetroffene Hebamme Nicole und ihre Auszubildende Lara hielten sich im Hintergrund, beobachteten unsere Arbeit und zählten die Wehenabstände. Da ich so gut wie nicht ansprechbar, völlig ruhig und bei mir war, konnte Nicole sehr schwer einschätzen wie weit der Geburtsprozess ist. So gegen 16 Uhr untersuchte sie mich zum ersten Mal mit der großartigen Nachricht: der Muttermund ist schon so gut wie komplett offen. “Supi, Zeit für den Pool”, freute sich Nicole. Roman, der Pool-Master, füllte wunderbar warmes Wasser für mich in das Planschbecken. Als ich ins Wasser glitt wurde ich überrascht von der angenehmen Wärme und der Schwerelosigkeit. “Herrlich” stieß ich mit einem Lächeln hervor. Das war das erste Mal, dass ich mich irgendwie bemerkbar machte, abgesehen von meiner lauten Atmung.

Nun konnte ich sogar 2 Bissen eines Riegels (Danke Nancy :)) essen. Der Pool nahm mir den Schmerz vom Kreuzbein und entspannte meinen Körper. Ich merkte wie sich meine Wehen veränderten. Ging es nun schon in die nächste Phase? Und dann kam der Impuls von Nicole doch mal zu tasten. Und da spürte ich es: den Kopf unseres Sohnes. Ich konnte es nicht glauben.
Die letzte Phase begann: ich stieg aus dem Pool und wurde nochmals so richtig aktiv. Ich lief gestützt von Roman durch die Küche und das Wohnzimmer, bei jeder Wehe ging ich in die tiefe Hocke und machte so Stück für Stück Raum für unseren Sohn. Wir wechselten erneut die Positionen von dem Gebärhocker in den Vierfüßlerstand und mit jeder Wehe arbeitete mein Körper auf Höchstleistung mit. Mein Kopf lag bei Roman im Schoss und der Schweiß tropfte mir die Stirn runter. Nicole gab mir finale Anleitungen für die Pressphase und schrie euphorisch “Schau, schau, er kommt”. Ich blickte runter und sah seinen Kopf. Was für ein Moment, ich begann gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Er kommt. Ich glaub es nicht. Auch Romans Augen wurden feucht (erfuhr ich natürlich erst im Nachhinein). Ok Alina, jetzt gib nochmal alles! Und das tat ich auch. Und kurze Zeit später lag der kleine Mann schreiend vor mir. “Oh mein Gott, was mach ich jetzt?” waren meine ersten Worte. Ich konnte es nicht greifen, dass unser Sohn da ist und wir es geschafft hatten. “Nehm ihn in die Arme” sagte Nicole und das tat ich natürlich auch. Wir wickelten ihn in warme Handtücher und hielten ihn erstmal ganz fest.

Hallo Lino. Herzlich Willkommen auf dieser Welt, wir haben es geschafft. Am Montag, den 30.8.2021 um 19.27 Uhr mit 3450 g und einer länge von 53 cm erblickst du das Licht der Welt. So richtig beschreiben kann ich die Gefühle gar nicht mehr, es ging alles so schnell. Eine Mischung aus Stolz, Erschöpfung, Glück und Magie.
Als wir es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht haben, kam ich wieder im Hier und Jetzt an. Sah in die zufriedenen Gesichter meiner wunderbaren drei Hebammen (Leandra kam als 2. Hebamme in der Endphase ebenfalls dazu), spürte Romans Hände auf meinen Schultern und hielt Lino fest im Arm.



Was für ein Wunder. Der kleine Mann liegt still und friedlich auf meiner Brust und ich spüre seinen warmen Körper. Kurze Zeit später wackelt bereits sein Kopf auf der intuitiven Suche nach meiner Brust. Still und staunend verbrachten wir eine Stunde mit Lino. Die Mädels zogen sich für den Papierkram zurück und liessen uns im Frieden ankommen. Dann folgte noch die Nachgeburt der Plazenta nachdem Roman mit gekonnten Händen die auspulsierte Nabelschnur durchtrennte, gefolgt von Linos erster Untersuchung, meiner Nachversorgung und einer erfrischenden Dusche. Um 23.30 Uhr legten wir uns erschöpft und glücklich ins Bett. Was für eine Reise!

Danke an dieser Stelle nochmals den wunderbaren Frauen, die uns diese Traumgeburt ermöglicht haben. Der Beruf der Hebamme ist ein absolut schützenswerter Beruf.
An alle Frauen auf dieser Welt, die noch eine Geburt vor sich haben: vertraut in euch und euren Körper. Und holt euch eine Hebamme, die euch schon während der Schwangerschaft auf natürlichem Wege begleitet, mit Gefühl, Tastsinn und Gespür. Denn jede Frau hat eine selbstbestimmte Geburt verdient!
Um anderen Frauen Mut zu schenken und den schlechten Ruf der Hausgeburt zu widerlegen habe ich mich übrigens auch entschieden meine Geburtsgeschichte in einem Podcast zu teilen. Hört gerne rein → Theas Geburtsgeschichten-Podcast.
