La vida simple

Uruguay: Alamo Blanco, 24.1. bis 8.2.19:

Jetzt wird etwas gearbeitet. Wir möchten nicht nur von einem schönen Ort zum anderen reisen, sondern auch in das Leben und die Kultur eintauchen, helfen wo wir können. Dafür haben wir uns bei Workaway und WWOOF Profile angelegt. Beide Plattformen vernetzen Menschen, die Bio-Farmen betreiben oder nachhaltige Projekte umsetzen und Freiwillige benötigen. Für Kost und Logis kann man bei den Personen für eine bestimme Zeit bleiben und helfen. Wir möchten solche Menschen unterstützen und suchen in Uruguay ein Projekt aus, welches zu uns passt. Da finden wir Hugos Profil.

Hugo ist ein kerniger 52-jähriger Uruguayaner und Aussteiger wie er im Buche steht. Er möchte ein Leben zurück zu den Wurzeln und baut gerade ein ökologisches Haus mit einem Permakulturgarten. Alles aus recycelten Materialen, denn viel Geld hat er nicht. Aber er hat keine Lust mehr auf den Stress, auf das verrückte Leben in dem sich alles nur um Konsum dreht. Wir verstehen ihn sehr gut. Er möchte lieber wieder mehr Zeit für sich haben um Dinge zu machen, die ihm Spass bringen. Er ist ein kreatives Köpfchen, extrem praktisch, stark, agil und fingerfertig. Er bastelt leidenschaftlich gerne und weiss in jeder Situation eine Lösung. Er versteht es Dinge zu recyceln und weiss unglaublich viel über das Bauen mit natürlichen Ressourcen. Da er aber alleine lebt und somit alles alleine bewältigt, sucht er immer wieder Menschen, die in sein kleines Haus kommen und ihm bei der Arbeit helfen. Wir finden ihn direkt super sympathisch und fragen ob wir kommen können.

Ein paar Tage später sind wir 30 km östlich von Montevideo. Wir steigen aus dem Bus und laufen die ruhige und sandige Vorstadtstrasse entlang bis die Strasse im Nichts endet. Hier müsste es eigentlich sein. Lauthals bellen uns die Hunde an und die ersten Nachbarn gucken neugierig über ihre Zäune. Dann sehen wir es. Ein kleines Holzhüttchen, der Garten eine Baustelle und es fehlt der Zaun. Das muss es sein. Wir klopfen an der Tür und kurz danach erscheint Hugo.

Wir betreten sein ca. 20m2 kleines, ganz rudimentäres Häuschen. Ein Raum mit einer kleinen Küchenecke, einer Treppe zu seiner Schlafecke und 2 weiteren Matratzen sind auf dem Boden für seine Gäste verteilt. Das Haus ist sehr einfach ausgestattet. Wir haben 3 Töpfe und 5 Teller, keinen Kühlschrank und kein heisses Wasser. Wer hier pingelig mit der Hygiene ist, kann gleich wieder gehen. Wir haben damit zum Glück überhaupt kein Problem. Es gibt kein Internet, kein Fernsehen und keine Couch, keine Geschirrspülmaschine und keine Waschmaschine, hier ist alles Handarbeit. Es fehlt uns aber trotzdem an nichts. Das einzige was ich vermisse ist die Ruhe (denn jeder Nachbar hat mindestens 2 Hunde, die bei jeder kleinen Gelegenheit ein Konzert vom allerfeinsten geben) und  eine Hängematte im Garten, aber die muss noch etwas warten, denn zunächst wird gearbeitet.

Am ersten Abend lernen wir uns kennen und machen leckeres Gemüse auf dem Holzgrill in der Abenddämmerung. Hugo ist kein typischer Uruguayaner, er läuft nicht den ganzen Tag mit dem Matebecher und einer Thermosflasche unter dem Arm geklemmt herum, er hat keine drei Hunde, keine Tattoos und ist Vegetarier. Das finden wir sympathisch. Roman kämpft sich fleissig und tapfer durch das Spanisch. Ich bin sehr froh, dass doch noch einiges von meiner Zeit in Ecuador hängengeblieben ist und ich kann mich ganz gut verständigen.

Unser Alltag sieht wie folgt aus: Alles erwacht langsam im Haus um 6.30 Uhr. Von 7 bis 11 Uhr wird gearbeitet. Gegen 11.30 Uhr wird gekocht (meistens bin ich das, da Hugo von meinen Kochkünsten relativ schnell begeistert ist). Es gibt jeden Tag vegetarische Küche, ich geniesse das reichhaltige Angebot von Gemüse und Obst und zaubere immer etwas Kreatives auf den Tisch. Nach dem Essen gibt es eine ausgiebige Siesta und der Nachmittag bleibt frei für die eigene Gestaltung. Langeweile stellt sich aber nicht ein. Roman lernt fleissig Spanisch, ich schreibe, lese, mache Yoga. Und fast jeden Tag lassen wir uns trotz des 4 km langen Fussmarsches den Genuss nicht nehmen, ins kühle Meer zu springen und den dünenbewachsenen Strand zu geniessen. Am Abend wird wieder gemeinsam gekocht und wir geniessen gratis Spanisch Unterricht mit Hugo und lernen die uruguayanischen Kartespiele Caida und Truco kennen.

Wir arbeiten die ersten 7 Tage durch und sind überrascht, wie schnell die Zeit vergeht. Es gibt viel zu tun, denn Hugo steht noch recht am Anfang seines Projektes. Wir sind froh gebraucht zu werden und entwickeln mit der Zeit auch einen gesunden Ehrgeiz voran zu kommen und möglichst viel zu schaffen in der Zeit wo wir da sind.

Ich beginne mit dem Anlegen eines Gemüsebeetes, wie Hugo sagt “Das ist eine gute Arbeit für eine Frau“. Roman hilft ihm beim Zaun und überlegt sich die Konstruktion für das Vordach. Schon nach einer Stunde Erde herumtragen merke ich meinen faulen Schreibtischrücken, der Schweiss tropft bereits morgens um 8 Uhr dank der Hitze die Stirn runter. Aber es bringt Spass zu sehen, was man in 4 Stunden alles schafft. Roman und Hugo sind trotz der Sprachbarrieren ein sehr gutes Team und Hugo schätzt Romans Ingenieurwissen, sein Mitdenken und seine Geduld sehr. Denn Hugo ist genau wie ich Zwilling (verrückt aber wahr: wir haben am gleichen Tag Geburtstag) und so wie ich zack zack und mit manchmal bescheidener Geduld unterwegs. Daher ist Hugo begeistert von dem Mix aus Schweizer Wissen und Präzision und uruguayanischem Umsetzen.

Ein Wochenende werden wir von Eduardo und Graciela, Freunde von Hugo, nach Piriápolis eingeladen. Wir dürfen ein Wochenende mit in ihr Ferienhaus, geniessen leckere Küche und lernen die Region kennen. Abends machen wir einen Ausflug zur Promenade, essen Eis zu später Stunde und am Sonntag laufen wir den viert höchsten Berg Uruguays (Pan de Azúcar, 389m) hoch. Wir sind wieder einmal gerührt von der selbstverständlichen Gastfreundschaft der beiden.

Am Ende bleiben wir 2 Wochen. Uns gefällt das einfache Leben und wir fühlen uns super wohl. Es ist erstaunlich zu sehen, wie schnell das gemeinsame Leben in dieser kleinen Hütte selbstverständlich wird und wir uns nicht fremd fühlen. Es ist zu unserer Hütte geworden und umso länger wir bleiben fällt der Gedanke ans Gehen immer schwerer.

Doch irgendwann muss es ja weitergehen und wir verlassen Hugo mit einer Menge neuer Erfahrungen. Wir haben in den 2 Wochen einen Zaun gebaut, das Dach vergrössert, drei Gemüsebeete angelegt, den Bau eines Ofens angefangen, den hinteren Teil des Gartens gesäubert, die Isolierung im Haus weitergeführt und Kleinigkeiten im Haushalt entwickelt. Wir hätten gerne noch dabei geholfen eine Solarheizung zu bauen, das Dach zu begrünen und mehr im Garten zu entwickeln. Nun werden andere Freiwillige in den Genuss dieser Arbeit kommen.  

2 Wochen bei Hugo und wir haben ganz traditionell uruguayanisch Mate getrunken und Tortas fritas mit Dulce con Leche gegessen (frittierte Kuchen mit Milchkaramell). Wir haben gelernt, wie man mit kreativen Ideen aus Abfall etwas Neues bauen kann. Wie man die Erde auf unterschiedlichste Art für den Garten, für die Isolierung, für den Bau von Dingen nutzen kann. Wie man alles im Garten verwerten kann. Wir haben gesehen, dass es im Leben nicht viel braucht um erfüllt zu sein. Wir haben gelernt, dass es ein grosses Geschenk ist, die Dinge im Leben umzusetzen, die einem Freude machen. Roman hat neue berufliche Denkanstösse bekommen. Und wir haben einen neuen Freund in Uruguay gefunden. Danke Hugo, für diese wunderbare und lehrreiche Zeit bei dir – vielleicht sehen wir uns in Paraguay (denn da hat er ein zweites Projekt).