Abenteuerliche 7-Tages-Wanderung über die Grenze Chiles

Argentinien/Chile: El Chalten – Candelario Mancilla – Villa O‘Higgins, 23.3. bis 30.3.19:

Gerade zurück von der wunderbaren 4-Tages-Tour durch den Parque Nacional los Glaciares lässt uns das schöne Wetter keine Ruh. Es wartet direkt das nächste Abenteuer auf uns. Denn wir wollen weiter ins abgelegene Patagonien über die Grenze nach Chile. Aber nicht einfach per Bus, sondern zu Fuß. 21 Kilometer mit dem kompletten Reisegepäck und Essen für sieben Tage, das scheint doch machbar, oder?

Doch nur über die Grenze zu wandern ist uns noch nicht genug Abenteuer. Wir lesen, dass diese unberührte Region toll zum Wandern sein soll. Viele Informationen finden wir aber nicht darüber, was für uns ein Zeichen der Einsamkeit bedeutet. Somit planen wir nach der Grenzüberquerung noch eine 6-Tages-Tour von Candelario Mancilla aus und stocken unser Gepäck mit Essen für 7 Tage auf, denn unterwegs gibt es nichts und wieder nichts.

Gepackt und abfahrbereit setzen wir die Rucksäcke auf und gucken uns erschrocken an. Puh, doch ganz schön schwer. Wir schätzen meinen auf 18 kg und Romans auf 20 kg. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Wir fahren morgens mit dem Bus und einer Fähre zum Grenzposten in Argentinien. Der nette Grenzbeamte schmunzelt nur, als er unsere Pläne hört, drückt uns mit schwung den Ausreisestempel in den Pass und wünscht uns viel Glück. Nun beginnt die 21 Kilometer lange Wanderung über die Grenze zum chilenischen Grenzposten.

Schon nach den ersten Kilometern drückt der Rucksack auf den Schultern und ich frage mich, ob die Schokolade nun wirklich notwendig war (ja, war sie, denke ich bereits am nächsten Tag). Nur schleppend kommen wir vorwärts, ständig justieren wir die Rucksäcke neu in der Hoffnung es wird erträglicher. Dann überqueren wir mitten im Wald die Grenze zu Chile. Zwei Schilder zeigen uns, dass wir gerade Argentinien verlassen und Chile betreten und zum Glück kann der gerade vorbeifahrende französische Radfahrer diesen Moment für uns festhalten.

Wir laufen weiter. Jeden Kilometer den wir schaffen bejubeln wir und setzen uns kleine Ziele. Alle drei Kilometer machen wir eine Pause. Den Rucksack abstellen ist ein Genuss, ihn wieder auf den Rücken zu hieven eine Qual.

Nach 7.5 Stunden kommen wir endlich an dem chilenischen Grenzposten an. Neben einer Estancia ist es das einzige Gebäude weit und breit. Wir betreten das Grenzgebäude und werden freundlich begrüßt. Nachdem wir den Einreisestempel erhalten, zeigen wir den Beamten unsere Wanderpläne und erhalten erstaunte Gesichter. Habt ihr denn genug zu essen? Ein GPS und ein Zelt? Ja, wir sind ausgestattet, antworten wir selbstbewusst. Wir müssen aber doch, um auf Nummer sicher zu gehen, ein Formular ausfüllen und die Beamten machen ein Bild von uns.

Nach der Einreise schleppen wir die Rucksäcke noch einen weiteren Kilometer bis zu der Estancia wo wir offiziell zelten dürfen. Wir klopfen an und kurze Zeit später öffnet eine Frau die Tür und bittet uns herein. Schön kuschelig warm ist es in der gemütlichen Stube. Wir tragen uns in das Gästebuch ein, erzählen von unseren Plänen und sind heilfroh, dass wir all den Krempel, den wir auf der Wanderung nicht brauchen, bei ihr lassen dürfen. Dafür melden wir uns schon mal für ein Abendbrot in 6 Tagen an. Sie schmunzelt und meint das sei kein Problem. Etwas worauf wir uns direkt schon freuen können.

Die Grenzüberquerung mit den schweren Rucksäcken hatte es in sich. Wir beschließen also für den nächsten Tag eine gemütliche Wanderung zu machen und nur 15 Kilometer zu laufen. Mit den „leichten“ ( ca. 14 – 16 kg) Rucksäcken ist es ein gefühltes Kinderspiel für uns. Und auf der Karte sieht der Weg ganz entspannt aus. Doch spätestens nach zwei Stunden wissen wir warum die Grenzbeamten etwas skeptisch über unsere Pläne gestaunt haben. Der Weg ist nicht beschildert und wir wissen nie so wirklich ob wir den offiziellen Weg oder den Weg der Kühe folgen. Irgendwann geben wir auf zu glauben, dass es einen offiziellen Weg gibt und bahnen uns unseren eigenen Weg durch das Gestrüpp und über Bächer und Täler. Steil rauf, dann wieder steil runter, dann wieder steil rauf, und dann kommt schon das nächste Tal was auf die Überquerung wartet. Wir verlieren ständig den Weg und müssen die ein oder andere Kletterpartie einlegen.

Es ist anstrengend und wir kommen kaum vorwärts. Roman ist in seinem Element den Weg zu finden, ich trotte unmotiviert hinterher. Besonders aufwärts merke ich, dass meine Muskeln am Vortag bereits gut beansprucht wurden. Warum tut man sich das gleich nochmal an? Doch als wir unseren Campspot finden, das Zelt aufbauen und ich auf die unberührten Berge vor mir schaue weiß ich wieder warum. Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl alleine mit der Natur zu sein. Keine Wirtshäuser mit lauter Musik, keine Wandertruppen, keine Boote, keine Flugzeuge. Einfach das Rauschen des Windes und die Einsamkeit.

Wir planen jeden Tag aufs Neue, denn wir wissen nie wie weit wir kommen. Wir haben aber auch keine Eile, denn unser Zuhause ist dabei, glasklares Wasser plätschert von den Bergen, die Sonne wärmt uns und wir haben Zeit, zumindest solange wir Essen haben.

Tag drei ist der Tag der Entscheidung, denn um unsere geplante Route zum O’Higgins Gletscher zu wandern, muss uns jemand über einen Fluss bringen. Wir sehen auf der Karte zwei Estancias, malen uns im Kopf schon aus, frisch gebackenes Brot abzukaufen. Bei der Estancia auf unserer Seite ist jedoch niemand auffindbar. Wir sehen aber auf der anderen Flussseite ein Ruderboot und aus einer kleinen Hütte kommt Rauch raus, ja wunderbar denken wir. Wir rufen einige Male „Hola“, aber nur der Hund scheint uns zu hören. Nichts rührt sich. Das Schicksal hat entschieden und wir planen unsere Route neu.

Kurze Zeit später werden wir direkt belohnt. Denn auf einmal bleibt Roman stehen und fuchtelt mir aufgeregt zu. Nicht weit vor uns stolziert ein männlicher Huemul (Andenhirsch) durch das Gestrüpp und begutachtet uns lässig. Wir können es kaum glauben, denn diese Hirschart ist stark vom Aussterben bedroht und laut Schätzungen gibt es nur noch ungefähr 1500 Hirsche dieser Art. Waldbrände, Viehlandschaft und Jägerei sind die Hauptgründe warum es diese Tiere schwer haben zu überleben. Er scheint über unsere Anwesenheit aber überhaupt nicht erschrocken (ganz im Gegenteil zu den Kühen, die bei unserem Anblick stets hastig wegrennen) und wir können ihn für einige Minuten beobachten.

Beglückt laufen wir weiter und finden kurz darauf einen Zeltspot mit Blick auf den El Chico Gletscher. Gletscher hat es hier reichlich, denn hinter der Bergkette schlängelt sich weiterhin das Südpatagonische Eisfeld entlang.

Als wir am nächsten Morgen mal wieder den wunderschönen Sonnenaufgang bestaunen, treffen wir seit vier Tagen auf die ersten Menschen. Drei Wanderer kommen schwer bepackt vom Gletscher zurück. Wir plaudern kurz und erfahren, dass am nächsten Tag Regen und Wind aufziehen soll. Also planen wir erneut um und legen langsam die Rückreise ein. Wir gehören schon eher zu der Kategorie “Schön-Wetter-Wanderer”, wenn es einzurichten ist. Nach dem heißen Kaffee am Morgen brechen wir auf. Es geht ein steiles Stück bergauf. Oben angekommen werden wir mit einem fantastischen Blick belohnt und beschließen bereits am frühen Nachmittag hier unser Nachtlager aufzubauen.

Am nächsten Tag laufen wir eine wunderschöne Hochebene entlang. Die Bäume färben sich bereits im herbstlichen rot, im Hintergrund erstrecken sich die weißen Gipfel und in der Ferne erblicken wir vier Pferde. Ein idyllischer Anblick, doch wir erschrecken die Pferde mit unserer Anwesenheit. Sie sammeln sich ohne uns aus den Augen zu lassen und fangen plötzlich an in vollem Galopp auf uns zu zukommen. Wir erfreuen uns an den schönen Tieren, doch als sie gefühlte 50 Meter vor uns immer noch im Galopp direkt auf uns zu steuern, wird uns etwas mulmig. Wir haben nicht das Gefühl, dass sie sich eine Streicheleinheit abholen kommen. Da wir den Umgang mit Pferden nicht so gewohnt sind, erscheint uns ein lautes Klatschen in die Hände für die richtige Wahl. Sie erschrecken, stoppen und drehen etwas ab, behalten uns aber immer noch im Blick. Langsam und mit Respekt laufen wir ohne uns gegenseitig aus den Augen zu lassen an ihnen vorbei. Wir verstehen die Aufregung der Tiere, denn viele Wanderer bekommen sie hier nicht zu Gesicht.

Und dann in der fünften und letzten Wildcamp-Nacht passiert es. Mitten in der Nacht werden wir von den Tropfen, die auf unser Zelt fallen, geweckt. Das wäre ja sonst kein richtiges Patagonien-Abenteuer ohne Regen. Wir liegen morgens im Zelt, lesen uns noch etwas vor, denn wir haben es nicht eilig loszulaufen. Irgendwie scheint alles mühsamer wenn es nass ist, das sind wir gar nicht gewohnt. Aber in die Regenkleidung geklettert packen wir alles ein und laufen los.

Zum Glück sind es nur noch 2,5 Stunden zurück zur Estancia, wo eine warme Dusche und das Abendessen auf uns wartet. Wir sehen uns schon im Genuss dieses „Luxus“, bis wir plötzlich vor einer großen Flussüberquerung stehen. Es regnet in Strömen und der Wind pfeift uns um die Ohren. Eine ehemalige Holzbrücke liegt gebrochen vor unseren Füßen. Sind wir auf dem richtigen Weg? Wir waren uns eigentlich sehr sicher. Doch das Handy sagt etwas anderes. Also wieder 20 Minuten ein steiles Stück im Wald zurück. Wir versuchen der Handy-Navigation zu folgen, finden nicht wirklich einen Weg und laufen durch den tiefsten Wald. Mittlerweile sind die Füße durchnässt und der Wald wird immer dichter. Alle fünf Minuten schaut Roman auf das Handy und ändert wieder den Kurs. Ich laufe schweigend hinterher. Jetzt nur die Ruhe bewahren, Roman kann das zum Glück besonders gut. Wie sollen wir nur über diesen Fluss ohne komplett nass zu werden? Wir merken, dass uns unser Handy im Stich lässt und laufen wohl oder übel wieder zu der Stelle zurück, wo die gebrochene Brücke lag. Da sah der Weg doch eigentlich nicht schlecht aus. Wieder dort angekommen sehen wir auf dem zweiten Blick eine Möglichkeit über den Fluss zu kommen. Wir klettern über einen umgekippten Baumstamm, springen auf ein Kiesbett und müssen die letzten drei Meter durch das wadentiefe Wasser stapfen. Unsere Füße sind eh nass, also rein da.

Endlich auf der anderen Flussseite angekommen atmen wir durch, jetzt wissen wir, dass wir bald auf dem richtigen Weg sind. Nach 3,5 Stunden kommen wir durchnässt aber glücklich wieder beim Grenzposten an. Die Beamten sind beruhigt uns wohlbehalten wieder zu sehen. Zurück bei der Estancia werden wir auch herzlich mit einem Kaffee, Brot mit Marmelade und einer heißen Dusche begrüßt – wir sind im Himmel. Carmen, die Besitzerin des Hauses, kocht für uns am Abend einen leckeren Eintopf mit selbstgemachtem Brot, Gemüsekuchen mit Salat, es gibt selbstgemachten Apfelsaft und eingelegte Kirschen. Wir essen schnell und stillschweigend, so einen Hunger haben wir und bestätigen unseren Genuss hier und da mit einem „hmmm“ und „que rico (wie lecker)“. Aufgewärmt, satt und glücklich kriechen wir abends in unser Zelt und schlafen wie kleine Babys. Am nächsten Morgen kommen wir nochmals in den Genuss von Carmens selbstgemachtem Brot und Marmelade, wir dürfen den Tag bei ihr in der warmen Stube zum Schreiben und Fotos bearbeiten verbringen bis uns am Nachmittag die Fähre ins kleine Dörfchen Villa O‘Higgins bringt.

Das war mit Abstand unser größtes Wanderabenteuer und wir haben es ohne Ehestreit und mit wunderschönen und einsamen Momenten in der Natur gut gemeistert. Unser nächstes Abenteuer wird die Reise per Anhalter entlang der Carretera Austral – dazu schon bald mehr.

Doch hier kommen erstmal die traumhaften Eindrücke:



Ein Gedanke zu “Abenteuerliche 7-Tages-Wanderung über die Grenze Chiles

  1. Hey ihr beiden.. freu mich immer wieder eure Blogeinträge zu lesen und es kommt Fernweh auf 🙂 Wunderschön was ihr da erlebt.. Geniesst es !!
    Gruss Roman

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