Ecuador: Estero de Plátano, 23.8. bis 30.8.19:
Nach einer Woche Erholung an der Nordküste Perus sitze ich nervös im Bus und stelle mir vor, was meine damalige Gastfamilie für Augen macht, wenn sie mich nach 7 Jahren ohne Kontakt wieder sehen. Während meines Studiums hatte ich ein Auslandspraktikum für 6 Monate in einem Fischerdorf an der Nordküste Ecuadors absolviert. Und natürlich legen wir in diesem Paradies, Estero de Plátano, einen Halt ein.
Wir lassen uns vom Bus direkt vor dem Haus meiner Gastfamilie raus. Und schon steht meine Gastmutter Merci vor mir und schaut mich verdutzt an. Nach 2 Schocksekunden schreit sie los und nimmt mich schwungvoll in die Arme. Sie ist mehr als überrascht und glücklich uns zu sehen. Alle Kinder der Umgebung kommen herbei gestürmt um zu sehen was los ist. Und auf einmal umarmen mich zwei Kinder und ich erkenne sie sofort. Gisele war damals 3 Jahre und Elina 1 Jahr, die Enkelkinder von Merci, mit denen wir alle zusammen im Haus gelebt hatten. „Was für eine Überraschung“ ruft Merci aufgeregt, „du bist zurückgekommen“. Wir umarmen uns lange und meine Nervosität schwindet. Ich hatte bedenken, dass meine Familie vielleicht nicht mehr hier lebt, dass es ihnen nicht gut geht oder sie sich gar nicht mehr an mich erinnern. Doch alle Bedenken umsonst, es fühlt sich an wie ein nach Hause kommen.

Selbstverständlich dürfen wir bei Merci wohnen und mein Zimmer ist immer noch wie damals, rustikal aus Holz mit Fenster in den Garten. Sonst hat sich viel getan im Haus. Neue Fliesen, eine Tür in den Garten, ein Bad im ersten Stock, ein Tisch. Dann treffen wir auf Angelo, dem jüngsten Sohn von Merci, mit dem ich damals immer zu den Flüssen gewandert bin um Krebse und Krabben zu fischen. Er ist mittlerweile 14 und umarmt uns schüchtern. Der mittlere Sohn Edison ist 20 und studiert, zum Stolz der Familie, in der Stadt und schmerzlicherweise müssen wir erfahren, dass der älteste Sohn Carlos, der Vater von Gisele und Elina, vor 2 Jahren bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam. Daher leben wieder alle unter einem Dach. Die Mama Kathi hat mittlerweile eine neue Liebe gefunden, ist schwanger und sie bauen ein kleines Haus auf der anderen Straßenseite.
Es gibt viel zu erzählen über die letzten 7 Jahre. All die Veränderungen im Dorf, ich erzähle über meinen Job bei Filme für de Erde und dass die Zeit in Estero de Platano für mich der Auslöser war, mich beruflich für die Umweltbildung einzusetzen. Denn in Estero habe ich gelernt, wie wichtig eine gute Bildung und ein Bewusstsein für die Umwelt ist und dass man ganz dringend bei den Kindern beginnen muss.
Wir lachen viel, ich bringe Fotos mit von meiner damaligen Zeit und Merci bekocht uns mit all ihren wundervollen Gerichten. Damit wir etwas dicker werden, bemerkt sie mit einem Lächeln. Es gibt Früchte im Überfluss, sie kocht Milch aus Samen, wir basteln Schalen aus Früchten, sitzen vor dem Haus zum plaudern und beobachten das Dorfgeschehen.

Ein Rundgang durch das Dorf zeigt uns die Veränderungen. Durch ein Erdbeben 2016 wurde die Strandpromenade komplett weggespült und seit dem hat die Regierung noch keine Notwendigkeit gesehen, etwas Neues zu bauen. Zwei neue Restaurants, eine Unterkunft die bald fertig ist, eine neue kleine Plaza und ein paar neue Häuser. Sonst ist alles beim Alten und einige Personen im Dorf erkennen mich wieder. Die Ruhe und Entspanntheit, die Estero immer ausgemacht hat, ist zum Glück gebliebenen. Immer noch schallt Bachata aus den Boxen, die Männer gehen mit Gummistiefeln und Machete auf die Finca oder mit dem Boot zum Fischen, die Frauen filetieren den Fisch, kochen, waschen die Wäsche im Garten und kümmern sich um die Kinder. Die Rollenverteilung ist immer noch klar definiert und als Roman die Teller abwäscht werden bewundernde Blicke ausgetauscht.

Ein Tag wünsche ich mir gemeinsam mit der Familie auf die Finca zu gehen. Das war immer eines meiner Lieblingsbeschäftigungen. Gewappnet mit Gummistiefeln und Machete laufen wir durch Flüsse und mitten durch den fruchtbaren Regenwald. Um uns herum wächst Kakao, Mandarinen, Kokosnüsse, Kochbananen und jenste Früchte, deren Namen ich vergessen habe. Hier wächst alles so wie es sein soll, ein richtig schöner Mischwald, alles Bio und ohne Chemie.

Aber klar ist es eine ganz schöne Arbeit zu ernten und den Ertrag nach Hause zu tragen. Viel bekommen die Familien auf dem Markt nicht für die Ernte und zu gewissen Jahreszeiten bleibt der Ertrag lediglich für den Eigengebrauch. Fehlende Arbeit ist im Dorf leider immer noch ein großes Problem und die schlechte Qualität der Grundschule hat sich auch nicht groß verändert. Die Mädchen werden häufig mit 16 schwanger, die Jungs schaffen selten den Aufnahmetest für die Uni und könnten sich das auch meist nicht leisten. Es bleiben ein paar Jobs in der Stadt im Bauwesen oder im Dorf auf der Finca. Häufig schlagen sich die Familien von Woche zu Woche durch. Merci und ihr Mann Arturo investieren all ihr Geld in das Haus und in die Bildung der Kinder.
Wir verbringen viel Zeit mit den Kindern, bringen ihnen das Kartenspiel Maumau (für die Schweizer: tschau sepp) bei, machen Lichtmalerei, baden im Fluss, sammeln Plastik am Strand und verteilen zur Belohnung ein Eis. Nach anfänglicher Schüchternheit genießen die Kids in vollen Zügen unsere Aufmerksamkeit. Nach der Schule schauen sie neugierig durch unser Fenster was wir treiben.

Julie, die Cousine von Elina und Gisele, erzählt mir, dass sie in zwei Tagen Geburtstag hat und 8 wird. Traurig fügt sie hinzu, dass ihre Oma aber kein Geld für einen Kuchen hat. Ihre Mutter hat sie vor 6 Jahren an einer Krankheit verloren. Mein Herz blutet und ich will ihr unbedingt eine Freude machen und für sie ein Kuchen backen. Ein Ofen ist in Estero allerdings Mangelware und so entschließe ich mich kurzerhand für eine Pfannkuchen-Torte. Die Freude ist groß und die 25 Pfannkuchen sind im null komma nix weg bei der großen Familie.

Die Zeit rennt wie im Fluge. Und wir gewöhnen uns schnell wieder an diesen relaxten Rhythmus und an die Kinder um uns herum. Dieses lockere in den Tag hinein leben und Zeit mit den Kindern verbringen ist einfach herrlich. Umso schwerer wird natürlich wieder der Gedanke an den Abschied. Wann werden wir wohl die Möglichkeit haben uns wieder zu sehen? Wir sollen unbedingt mit unseren 5 Kindern (die wir natürlich schleunigst bekommen sollen) zurück kommen. Zum Glück hat sich in Estero die Technologie weiterentwickelt. Wir schenken ihnen einen USB-Stick damit sie all die Fotos und Videos von Roman auf dem Fernsehen anschauen können. Handyempfang ist weiterhin erst in dem 50-Minuten entfernten Dorf möglich, aber Whatsapp und Facebook ist natürlich kein Fremdwort mehr und so tauschen wir fleißig Nummern aus.
Nach 7 Tagen in Estero sitzen wir morgens früh im Bus zurück in die Zivilisation und meine Augen sind feucht. Dieses Leben in Estero und die Menschen sind mir, und auch Roman, unfassbar ans Herz gewachsen. Hoffentlich kommen wir eines Tages zurück in dieses Paradies:
Aber jetzt zurücklehnen und Romans Video-Zusammenschnitt und danach die Bilder genießen, Lacher garantiert:
Ich habe vor 40 Jahren für mehrere Jahre in Zentralamerika gelebt (Nicaragua). Es kommt mir so vor, als sei die Zeit damals stehen geblieben.